„Es tut weh, wenn man den Ernst als Witz verkaufen muß.“ (Heinrich Zille)
Als Heinrich Zille (1858-1929) – von wohlwollenden Zeitgenossen liebevoll „Pinselheinrich“ genannt – 1905 diese Berliner Straßenszene in dem von ihm bevorzugten Sujet der proletarischen Unterschicht schuf („Zille sein Milljöh“), tobte einige hundert Kilometer weiter westlich im Ruhrgebiet gerade der große Bergarbeiterstreik. Denn das Leben der einfachen Leute im Deutschen Kaiserreich war Anfang des 20. Jahhunderts alles andere als rosig.
Zwar hatte Reichskanzler Otto von Bismarck bereits einige Jahre zuvor eine Sozialversicherung eingeführt, um dem Sozialismus den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der prekären Lage weiter Bevölkerungskreise. In den Eldendsviertel der Großstädte mangelte es an allem und Kindersterblichkeit war an der Tagesordnung. Das ist auch das Thema des Bildes, auf dem sich ein kleiner Leichenzug mit einem Kindersarg den Weg durch eine heruntergekommene Straße bahnt, zugleich neugierig als auch gleichgültig beäugt von den umherstehenden Frauen und Kindern. Die Sozialkritik Heinrich Zilles ist hier unverkennbar. Im Elend stumpft man eben ab und interessiert sich nicht für das Unglück des Nachbarn – von Solidarität keine Spur.
Die abgebildete Grafik gehört zu Zilles im gleichen Jahr erschienenen Serie „Das dunkle Berlin“. Die Bild trägt auf anderen Drucklegungen einen Untertitel, welcher auf dem vorliegenden Exemplar allerdings nicht vorhanden ist: „Besauft euch nicht! Und bringt den Sarj wieda. De Müllern ihre Möblierte braucht’n morjen ooch.“