„Es ist besser, frohen Mutes auf Stroh zu liegen, als auf goldenem Stuhl an üppiger Tafel die Ruhe zu verlieren.“ (Epikur)
Als Norbert Marten (*1953) diese Radierung im Jahr 1983 nur wenige Wochen vor dem spektakulären Konzert Udo Lindenbergs im Palast der Republik erstellte, hatte der Künstler gerade sein Studium an der Hochschule Bremen erfolgreich absolviert und war mit dem Aufbau eines eigenen Ateliers in Oldenburg befasst. Zu dieser Zeit entstanden zahlreiche Druckgrafiken. Im selben Jahr begann Marten seine Tätigkeit als Dozent an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg. Die Graphothek der Ostfriesischen Landschaft ist im Besitz von insgesamt drei Grafiken des Künstlers, die sich thematisch allesamt mit dem Stuhl als Metapher von Person und Psyche auseinandersetzen. Das Sujet des Stuhls steht auf Nachfrage beim Künstler im Falle der vorliegenden Grafik für einen Zustand des Übergangs zwischen einem Lebensentwurf und dessen Realisierung. Der Stuhl ist eine vielfach verwendete Metapher in der Kunst, die zahlreiche Bedeutungen und Interpretationen umfasst. Als alltäglicher Gegenstand verbindet er das Gewöhnliche mit dem Symbolischen und kann tiefgreifende Konzepte und Emotionen repräsentieren. Marten macht den Stuhl zum Medium seiner psychologischen Reflexion, zum Platzhalter für persönliche Bezüge, die er mittels der Sitzgelegenheit abstrahiert und dadurch sichtbar macht. Gebrauchsspuren stehen dabei für Verletzungen, anthropomorphe Gestalten symbolisieren ineinander verschränkte Fragmente des Individualisierungsprozesses.
„Medium der Reflexion“, Radierung, 29,5 x 24 cm. Norbert Marten 1983. OLA 70478 (Foto: Ostfriesische Landschaft)