„Das Märchen ist der Spiegel, in dem wir uns erkennen“ (Jacob Grimm).
Mit feiner Strichführung und tiefgründigem Humor präsentiert Albrecht Schindehütte (geb. 1939) sein Werk „Selbst mit Brüdern Grimm“. In diesem Holzschnitt sehen wir die markanten Umrisse der Köpfe der Brüder Grimm nebeneinander – zwei Ikonen der deutschen Germanistik und Kulturanthropologie, weltweit bekannt vor allem durch ihre Märchensammlung. Der dritte Kopf im Bunde ist kein geringerer als der des Künstlers selbst, unverkennbar durch den markanten Schnauzbart. Doch Schindehütte belässt es nicht bei dieser eindrücklichen Selbstinszenierung: Aus seiner Nase ragt ein ausgestreckter Arm, der ein aufgeschlagenes Buch hält – ein Bildwitz par excellence, der die enge Verknüpfung zwischen Künstler und Werk auf humorvolle Weise verdeutlicht und deutlich Bezug auf die „Lügennase“ von Carlo Collodis Kinderbuchfigur Pinocchio nimmt.
Ein Bezug zu den Grimmschen Märchen und deren Bedeutung in der deutschen Kultur zieht sich durch Schindehüttes gesammtes Schaffen. 1997 begründete Schindehütte gemeinsam mit Christian Abendroth im ehemaligen Feuerwehrhaus in Breitenbach die Schauenburger Märchenwache. Diese Einrichtung ist den Kinder- und Hausmärchen-Erzählern der Gebrüder Grimm, dem verabschiedeten Dragonerwachtmeister Johann Friedrich Krause, mit dem Schindehütte entfernt verwandt ist, und der Hanauer Demoiselle Marie Hassenpflug, die im nahen Hoof einen von Dalwigk heiratete, gewidmet. Diese familiäre und kulturelle Verbundenheit prägte seine künstlerische Auseinandersetzung mit Märchen und Mythen.
2009 erhielt Albrecht Schindehütte den Hessischen Verdienstorden, was seine Bedeutung als Künstler unterstreicht. Zudem gestaltet er für jeden 1. Bundesligaaufstieg des FC St. Pauli einen Holzschnitt. Schindehüttes künstlerische Bandbreite zeigt sich auch in seinen Buchillustrationen, wie 2013 im Buch „Marie Hassenpflug. Eine Märchenerzählerin der Brüder Grimm“ und 2014 im Buch „Ludwig Emil Grimm – Lebenserinnerungen des Malerbruders“ von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz.
Der Kontext des Jahres 1985, in dem dieses Werk entstand, ist ebenso von Bedeutung. Die 1980er Jahre waren eine Zeit des Wandels und der Reflexion. Märchen als kulturelles Erbe und ihre Bedeutung in einer sich rapide verändernden Gesellschaft rückten wieder ins Bewusstsein. Schindehütte wählte bewusst diesen Moment, um mit seiner Arbeit sowohl eine Hommage an die Vergangenheit als auch einen Kommentar zur Gegenwart abzugeben.
Dieses signierte Werk ist Teil des Triptychons der Mappe ‚Krauses Märchen‘ aus dem Jahr 1996 und zeigt, wie der Künstler spielerisch und doch tiefsinnig mit den Elementen der Märchenwelt umgeht. Ein Bild, das nicht nur zum Schmunzeln anregt, sondern auch zum Nachdenken über die Verbindung zwischen Kunst, Kultur und persönlicher Geschichte.
Welf-Gerrit Otto
