Am 16. Januar 2025 fand in der Integrierten Gesamtschule Pewsum eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Herausforderungen der Landwirtschaft in der Krummhörn – früher, heute und morgen in Zeiten des Klimawandels“ statt. Der Initiator und Moderator des Abends und zugleich Mitverfasser dieses Beitrags veröffentlichte unlängst das Buch „350 Jahre Krummhörner Landwirtschaft im Schutze des Deiches: mit Perspektive“ im Oldenburger Isensee-Verlag. Die Veranstaltung unterstrich die Aktualität und die Bedeutung des Themas insbesondere für die geographische Situation der Krummhörn und machte auf die besondere Bedeutung des Küstenschutzes und Entwässerung in diesem Kontext aufmerksam.
Veranstaltet wurde der Abend von der Ostfriesischen Landschaft. Die Regionale Kulturagentur der Ostfriesischen Landschaft widmet sich derzeit verstärkt dem drängenden Thema des Klimawandels. Angesichts der steigenden globalen Herausforderungen und ihrer unmittelbaren Auswirkungen auf die Region wird die Kulturagentur sich intensiv mit der Problematik auseinanderzusetzen und in Kürze das auf drei Jahre angelegte Projekt „KulTour-Innovationen für Ostfriesland“ starten.
Das Grußwort der Diskussionsveranstaltung, zu der weit über hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer gekommen waren, wurde vom Präsidenten der Ostfriesischen Landschaft, Rico Mecklenburg, gehalten, der die Bedeutung dieser Diskussionsrunde für die Region und ihre Bewohner hervorhob.
Im Verlauf der Veranstaltung kamen verschiedene Referentinnen und Referenten zu Wort, die ihre jeweiligen Perspektiven und Fachkenntnisse zu den Herausforderungen und Lösungen für die Landwirtschaft in der Krummhörn darlegten. Insgesamt wurden acht Vorträge gehalten, die anschließend mit den Gästen diskutiert wurden.
Nach dem Impulsvortrag von Folkert Herlyn, der einen geschichtlichen Überblick bot, folgten Beiträge von Prof. Frank Thorenz, Leiter der Betriebsstelle Norden des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, sowie von den Landwirten Gerd-Udo Heikens (Oberdeichrichter), Reinhart Behrends (Obersielrichter), der Landwirtin Milva Iderhoff, den Landwirten Udo Alberts-Tammena und Bonno Focken. Abschließend stellte die Bürgermeisterin der Krummhörn, Hilke Looden, die Perspektive der Gemeinde dar.
Im Laufe Veranstaltung kristallisierten sich die Themen Küstenschütz und Entwässerung heraus und ließen für die weiteren Themen zur Bewirtschaftung des Landes weniger Raum. Der beschleunigte Anstieg des Meeresspiegels, der bei fortgesetztem Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2100 voraussichtlich einen Meter höher als heute sein wird, ist eine absehbare Folge des Klimawandels. Vor der industriellen Revolution stieg der Meeresspiegel nur um etwa 25 Zentimeter pro Jahrhundert. Leider sind Extremwetterereignisse nur sehr kurzfristig vorhersagbar und verursachen große Unsicherheiten bei der Planung des Entwässerungssystems, das aus Drainagen, Gräben, Kanälen, Schöpfwerken und Sielen besteht. Die begrenzte Speicherkapazität von Gräben und Kanälen erhöht die Gefahr der Überflutung von Landflächen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, nasse Felder zu vermeiden und angesichts längerer Trockenphasen gleichzeitig das Potenzial von Süßwasser zu nutzen, anstatt es in die Nordsee abzuleiten. Die enge Zusammenarbeit mit den Landwirten und den Experten der Entwässerung ist l für den Erfolg fundamental.
In den Vorträgen wurden anhand konkreter Beispiele die geplanten und angestrebten Maßnahmen vorgestellt. Sowohl staatliche als auch private Institutionen sind daran beteiligt, darunter Forschungsabteilungen der Universitäten Hamburg, Siegen und Oldenburg sowie Behörden in Norden, Aurich, Emden und Hannover. Auch der BUND und das THW sind aktiv eingebunden.
Die vorgestellten Beiträge überraschten mit ihren innovativen Ansätzen zu mehr Flexibilität und Naturschutz. Ein langfristiges Ziel ist der modulare Bau der Deichhöhe. Auf der Landseite des Deiches werden Kleimassen aufgetragen, die bei Bedarf zur schnellen Abdichtung von Löchern oder zur Erhöhung des Deiches verwendet werden können. Betonlösungen sollen vermieden werden, um CO2-Emissionen zu reduzieren und weil sich Klei besser mit dem Untergrund verbindet. Die Modularität ermöglicht es, dass die Technik von regionalen Bauunternehmen und kleinen lokalen Firmen umgesetzt werden kann, anstatt auf Großprojekte mit Beton und Teer zu setzen.
An der ostfriesischen Küste und der Wesermündung gibt es rund 45 Haupt- und Mündungsschöpfwerke. Angesichts des weiterhin erwarteten Meeresspiegelanstiegs und der Zunahme von Starkregenereignissen müssen fehlende Schöpfkapazitäten durch neue, standardisierte und modular aufgebaute Schöpfwerke geschaffen werden, um eine deutlich höhere Betriebssicherheit zu gewährleisten. Bei den bereits bestehenden, jedoch inzwischen veralteten und nicht standardisierten Schöpfwerken ist eine dringende Leistungssteigerung erforderlich.
Die Nutzung und Speicherung von Süßwasser im Binnenland sind zwar bessere Optionen als die ungenutzte Ableitung in die Nordsee, würden jedoch Auswirkungen auf die gesamte Entwässerungsstrategie haben. Die Richtungsänderung des Abflusses beeinflusst die Anpassungen von Schöpfwerken, Wasserführungen und Drainagen sowie den Feuchtigkeitsgrad der Felder.
Die Vorträge zu Küstenschutz, Entwässerung und Landwirtschaft verdeutlichten, dass langfristige Planung über Jahrzehnte notwendig ist, um heute fundierte Entscheidungen treffen zu können. Dabei sollten Erfahrungen und bewährte Methoden aus der Vergangenheit mit einbezogen werden. Im Rahmen der einzelnen Vorträge wurde immer wieder an Jannes Ohling erinnert. Ohling war Landwirt und Deichrichter in Ostfriesland. Er setzte sich frühzeitig für die Notwendigkeit größerer Deichverbände und verbesserter Entwässerungssysteme ein. Nach der Sturmflut von 1962 förderte er die Fusion der Krummhörner Deichverbände und trieb den Ausbau der Entwässerungskanäle voran. Seine Bemühungen trugen maßgeblich zum Küstenschutz in der Region bei.
Die Eigentümer der zu schützenden Flächen, die Landwirte, liefern Nahrungsmittel, die weit über den Verbrauch aller Bewohner in der Krummhörn hinausgehen. Das ist ein wesentlicher Beitrag für unsere Gesellschaft, dem unbedingt Wertschätzung gebührt. Es wurde bei der Veranstaltung allerdings deutlich, dass der Produktivitätsanspruch und die Forderungen nach Nachhaltigkeit sich mitunter im Konflikt miteinander befinden. Neue Ansätze im Bereich des Tierwohls und der Auswahl von Produkten und Pflanzen helfen indes dabei, sich sowohl an Dürre als auch an Nässe besser anzupassen. Erfahrungen aus ökologischen wie auch aus konventionellen Anbaumethoden sollten dementsprechend ausgetauscht werden, um sich gegenseitig zu inspirieren. Für die spezifischen Böden in der Krummhörn werden sich so innovative Wege finden lassen. Das allerdings kann nur im gegenseitigen Dialog geschehen.
Die Diskussionsveranstaltung auf der Krummhörn unterstrich, dass der menschengemachte Klimawandel neue und komplexe Herausforderungen für den Küstenschutz und die Landwirtschaft in der ostfriesischen Küstenregion mit sich bringt. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen sowohl bewährte Methoden als auch innovative und nachhaltige Technologien eingesetzt werden. Im Kern geht es um die kontinuierliche Anpassung an die veränderten klimatischen Bedingungen. Ostfriesland hat in der Vergangenheit immer wieder die Unwägbarkeiten der Naturgewalten gemeistert. Diese Erfahrungen befähigen die Region, auch in Zeiten der Klimakrise eine Vorreiterrolle einzunehmen und als Beispiel für andere Regionen zu dienen.
Obersielrichter Reinhard Behrends schrieb nach der Veranstaltung an den Moderator und betonte, dass die überwältigend hohe Besucherzahl, darunter nicht nur Landwirte, gezeigt habe, dass der Wissensdurst der Gesellschaft hinsichtlich der erwarteten Klimaveränderungen ungebrochen sei. Das Signal für uns sei, weiterhin konsequente Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, unsere politischen Entscheidungsträger zu informieren und zu sensibilisieren, Fördermittel zu generieren und Maßnahmen umzusetzen. Dies sei ein Weg, den wir schon lange beschritten haben, aber wir dürften nicht ermüden – die Natur werde ihren Weg gehen, mit oder ohne uns Menschen. Es liege an uns, uns anzupassen.
Folkert Herlyn / Welf-Gerrit Otto