»Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen stürmten Roß und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan. Als sie oben waren, stoppte Hauke mit Gewalt sein Pferd. Aber wo war das Meer? Wo Jeverssand? Wo blieb das Ufer drüben? – Nur Berge von Wasser sah er vor sich, die dräuend gegen den nächtlichen Himmel stiegen, die in der furchtbaren Dämmerung sich übereinanderzutürmen suchten und übereinander gegen das feste Land schlugen.«
Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ aus dem Jahr 1888 ist weit mehr als eine atmosphärische Schilderung der norddeutschen Küstenregion. Sie behandelt zeitlose Themen wie Mensch und Natur, Verantwortung und der Kampf gegen die Elemente – Themen, die in der heutigen Diskussion um Klimawandel, Küstenschutz und Nachhaltigkeit eine neue Dringlichkeit erhalten.
„Der Schimmelreiter“ wurde übrigens am 24. März 2025 in einer Inszenierung des TAG-Theaters Rhauderfehn präsentiert, die in Kooperation mit der Kulturagentur im historischen Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft aufgeführt wurde. Die Bühnenakteure Norbert Knitsch und Hans Sakowski begeisterten rund 80 Zuschauer. Besonders hervorzuheben ist die moderne Umsetzung des Erzählstoffs, die geschickt Bezüge zum aktuellen Klimawandel herstellte und so die zeitlose Relevanz des Werkes unterstrich.
Darüber hinaus kann die Novelle auch im Kontext des neuen KIO-Projekts der Kulturagentur gesehen werden, das kürzlich gestartet wurde. Mit KIO gestalten die Ostfriesland Tourismus GmbH und die Ostfriesische Landschaft den Kulturtourismus der Region auf zukunftsweisende, klimagerechte und digitale Weise. Ziel des Projekts ist es, Kultureinrichtungen und Tourismusorganisationen aktiv bei der nachhaltigen Transformation zu begleiten, um Ostfrieslands kulturelle Identität zu bewahren und gleichzeitig zukunftsfähig zu machen. Mit inhaltlichen Impulsen und konkreten Maßnahmen schafft das KIO-Projekt eine Verbindung zwischen Tradition und Innovation, die auch die Aktualität von Storms Werk reflektiert.
Zentrale Figur der Erzählung ist Hauke Haien, dessen visionärer Deichbau nicht nur den Menschen seiner Zeit Schutz bieten soll, sondern auch als langfristige Maßnahme für zukünftige Generationen gedacht ist. Diese Perspektive spiegelt die gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels wider: Auch heute stehen wir vor der Aufgabe, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur akute Probleme lösen, sondern nachhaltig wirken. Hauke Haien verkörpert dabei eine Haltung, die uns mahnt, über kurzfristige Vorteile hinauszudenken und die Folgen unseres Handelns für kommende Generationen zu berücksichtigen.
Besonders relevant in der heutigen Zeit ist der Aspekt der Verantwortung gegenüber unserer Umwelt. In der Novelle wird deutlich, dass die Natur trotz menschlicher Anstrengungen oft unberechenbar bleibt und eigene Gesetze hat. Dies erinnert an die heutigen Herausforderungen durch den Klimawandel – von steigenden Meeresspiegeln bis hin zu extremen Wetterereignissen. Der menschliche Eingriff in die Natur, wie der Bau von Deichen, wird bei Storm nicht nur als notwendig, sondern auch als risikobehaftet dargestellt. Dies ähnelt modernen Debatten um Küstenschutzprojekte: Wie können wir effektive Schutzmaßnahmen ergreifen, ohne das ökologische Gleichgewicht weiter zu stören?
Die Themen Nachhaltigkeit und Gemeinschaft spielen ebenfalls eine zentrale Rolle in „Der Schimmelreiter“. Hauke Haiens Deichbau basiert auf wissenschaftlicher Weitsicht und der Überzeugung, dass nur ein geeinter Einsatz der Gemeinschaft langfristig Erfolg haben kann. Diese Botschaft ist aktueller denn je. Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel ist die Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft und nicht zuletzt Kultur entscheidend, um nachhaltige Lösungen zu finden.
Storms Novelle liefert auch subtile Warnungen: Die Tragödie Haukes zeigt die Folgen von Isolation und mangelndem Dialog. Auch heute sind Spaltung und Ignoranz im Umgang mit Klimafragen ein Hindernis, das überwunden werden muss. Nur durch gemeinsames Handeln und den Mut, neue Wege zu gehen, können wir Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit finden.
„Der Schimmelreiter“ erweist sich somit als beeindruckend zeitgemäß. Storms Reflexion über die Wechselwirkung zwischen Mensch, Natur und Fortschritt ist ein Spiegel für die heutigen Debatten über Klimaschutz und Nachhaltigkeit – und ein Aufruf, unsere Verantwortung für die Zukunft ernst zu nehmen. Die Novelle mahnt uns, mutig und visionär zu handeln, und erinnert daran, dass der Schutz unserer Umwelt nicht nur eine Option, sondern eine Verpflichtung für die kommenden Generationen ist.
»… und wolltet ihr ihm selbst nicht danken, euere Enkel werden ihm den Ehrenkranz doch einstens nicht versagen können!«
(Zitate aus: Theodor Storm, Der Schimmelreiter, 1888.)